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Christian Probst

Bern, Schweiz
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Der «Bund» - 10.3.1998

Sieben Autoren verbinden sich zum Orchester

Literatur / Um das Erscheinen des Berner Literatur-Almanachs zu feiern, haben sieben darin vertretene Autoren bzw. Autorinnen dem Regisseur Christian Probst Texte zur Verfügung gestellt, die sie heute um 21 Uhr im Schlachthaus unter dem Titel «Try to play ich» wechselweise vortragen und zu einer Collage verknüpfen . Der «Bund» druckt hier die Texte zusammen mit den Porträts von Dominique Uldry aus dem Almanach erstmals ab.

Beat Sterchi

In der Galerie

Ich würde wie Balthus malen oder wie die jungen Wilden, jedenfalls gegenständlich würde ich malen, sagte ich, ganz sicher würde ich, wäre ich Maler, gegen die Welt anmalen, ich würde anklagen und aufklären! Worauf der Maler, der sich bemühte, nicht allzu verachtend zu lächeln, der geduldig zugehört hatte, erwiderte: D'accord! D'accord! Dann würden Sie wie Balthus auch überall noch Ihre Ehefrau in diese Bilderwelt hineinmalen, einmal liegend, einmal nackt, einmal hier, einmal dort, einmal so und einmal so, jedoch immer harmlos und schön? Ich würde natürlich versuchen, das Kitschige zu vermeiden, verteidigte ich mich, aber dieser Realität muss geantwortet werden, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln hat die Kunst der aus den Fugen geratenen Welt entgegenzuwirken und sei es durch Entlarvung des Hässlichen oder durch das immer wieder neue Entdecken des Schönen! D'accord! D'accord! sagte darauf der Maler, der mehrmals leer schluckte, mich reden liess, dann eher widerwillig fragte, Bezug auf einen Künstler nehmend, dessen Name mir kein Begriff war, ob denn eine Reaktion auf diese Welt nicht auch darin bestehen könne, dass sich jemand wie der erwähnte Künstler sage: Nein, jetzt setze ich nicht noch eins drauf, nein, jetzt dränge ich mich mit meiner Sicht nicht auch noch in den Vordergrund! Jetzt mische ich mich nicht auch noch ein! Jetzt reagiere ich nicht mehr tölpelhaft direkt! Jetzt agiere Ich! Nehme mir die Freiheit, in einem unbesetzten Raum Ruhe zu gestalten, in dem ich eine geschichtlose Fläche so bemale, wie es MIR bekommt? Ist es in dem Chaos der Signale und Impulse, in der übersättigten, beschleunigten Alltagswelt nicht eine Wohltat, sich vor einem reinweissen Bild wiederzufinden oder gar vor einer leeren Leinwand wie dieser hier? D'accord! D'accord! sagte ich.

Fabiola Carigiet

Fällig

Ich bin, natürlich bin ich nicht der, die ich vorgebe zu sein. Hab immer schon gelogen, quasi seit meiner Geburt. Die fiel, Gott sei's gedankt, in eine Zeit allgemeiner Prosperität. Als Folge davon herrschte in den Gebärsälen Hochbetrieb. Schleiertragende Schwestern arbeiteten für Gotteslohn im Akkord, zogen Erdenbürger um Erdenbürger ans Licht der Welt. Mich ohne grössere Komplikationen. Zeit, mein Geschlecht zu bestimmen, blieb jedoch keine. Nach getaner Anstrengung wurde meine arme Mutter, mich im Arm haltend, wegen Platzmangels kurzerhand in den Gang gerollt, wo ihr das selige Lächeln bald einmal verging. Denn, als typisches Produkt meiner Zeit, wog ich schwer. 5 Kilo 250 Gramm. Alles Rufen fruchtete nichts, auch mein unterstützendes Schreien blieb ungehört. Der Arm erlahmte, die Kräfte schwanden zusehends. Hier, in diesem kahlen Gang, hilflos aufgebahrt, liess man uns also zugrunde gehen. Meine arme Mutter, ansonsten standhaft bis zum Letzten, ergab sich, bedingt wohl durch eine hormonelle Schwäche, kampflos der, wie sie glaubte, göttlichen Vorsehung und bald einmal auch erschöpft dem Schlaf. Gegen meinen Willen mir selbst überlassen, begriff ich, wie vom Blitz getroffen, dass ich, in diesem Augenblick, mein Schicksal in Händen hielt. Ich hüpfte vor Freude, fiel unglücklich von der Bahre auf das galle-grüne Linoleum und seither, bin ich.

Marianne Freidig

Hände baden

Ich bade Füsse und Knöchel im weissen Forellenteich. Der Kopf gleitet kontrolliert nach vorne, zieht Schultern und Oberkörper mit. Ich sitze jetzt gebeugt auf der Eichenschwelle, und die Hände hüpfen ins trübe Wasser. Sie verschwinden, tauchen auf. Sie ziehen mit grauer Kreide Kreise in die Milchverbauung. Die Augen ziehen mit. Sie kreisen über der Wasseroberfläche. Der Kopf streift Weiss und Stein, zieht den Körper ruckartig mit. Er gleitet über die Schwelle und bricht auf der Steinkante auf, wölbt sich über kurzarmigen, in der Verbauung gefangenen Tannen. Die Stummel stechen spitz in die Haut, spiessen Fleischstücke auf, reissen sie aus der Haut heraus. Wasser dringt in die Wunden ein. Der Leib schiesst im Strahl über die nächste Schwelle der Bachverbauung. Der Kopf streift die Felskante, wird zurückgeschleudert, schlägt auf ein Holzbrett auf. Strudel ziehen den Schädel in die Tiefe. Der Kopf sitzt in einem Bett aus feinen Ästen fest. Rote Haare wellen sich im Strudelbad, bis sie sich in Kieseln verfangen und unter ihnen festsitzen. Der Körper schwebt und strömt, sich unscheinbar bewegend. Brustwirbel dehnen sich aus, pumpen Wasser in die Lungenflügel und fallen zuckend in sich zusammen. Der Wasserleib windet und dreht sich. Die Füsse fühlen den zirpenden Grund aus Kieseln und Blättern, stossen sich kräftig ab. Der Strudel drückt dagegen, saugt den Körper erneut an, zieht ihn, in Schrauben wellend, zum Beckengrund hinab. Der Kessel entleert sich und spuckt den Körper aus, bevor die nächste Wasserwelle hereinschwappt. Ich liege auf der Schwelle.

Am nächsten Morgen: Ich sitze auf dem Ast einer Eiche. Ich trage jetzt kurzes Haar. Der Schnitt wurde nachgebessert. Die langen Haare sitzen unter den Kieseln im Sprudelbad fest.

Ich.

Raphael Urweider

Pamphlet oder aber handstreICH wider ICH.

ICH meine damen und herren sage oft ICH / wenn ICH von mir persönlICH spreche. Doch mit dICHten hat solches sprechen herzlICH wenICH zu tun. ICH sage dann ICH / wenn ICH über mICH und meine anliegen mündlICH informiere / jedoch nICHt / um aussagen über äusserlICHes zu machen. Meine damen und herren sie können nICHt abstreiten / dass auch sie ICH sagen / wenn sie sICH meinen. Wenn ICH fragen würde / gibt es vielleICHt jemanden der nICHt ICHbesitzer ist / also nICHt ICH sagt wenn er sICH meint / würden sie / fühlten sie sICH angesprochen / wahrscheinlICH «ICH! ICH!» schreien. Wenn ICH ICH sage und mICH damit bezeICHne / kann dies jeder von sICH auch tun. Es ergibt sICH keine neuICHkeit / kein nebel lICHtet sICH. Fragen wie / wo geh ICH hin und kehr ICH wieder / sind doch jedem sein eigener kehrICHt und bereiten höchstens den kleinlICHen lustICHe nabelschauer. In jede geschICHte / jedes gedICHt / in jedes gemachte zeICHen jeden strICH / schleICHt sICH ICH / penetrant beinahe widerlICH / ein. NeuICHkeiten meine damen und herren bereite ICH ihnen / wenn ICH nICHt ICH schreibe / sondern ICH absICHtlICH vermeide / um schlICHt ansICHten sICHtbar zu machen. MässICHkeit / meine ICH / ist voraussetzung / die umspannende Welt des / in wahrlICH allzuvielen heutICHen texten weltumspannenden ICHs / zu verlassen / um geschICHten zu flechten. Wer flICHt noch geschICHten in anderen grammatischen personen? Sie vielleICHt! Hoffentlich! Diese vortrefflICHen belICHtungen des ICHs / diese selbstsICHeren selbstbesICHtigungen und ernstlICHen selbstbezICHtigungen ergeben vielleICHt gewICHtige psICHologische erkenntnisse / doch sind sie literarisch nICHts anderes als aufgezeiICHnete onanie / zu deutsch / verzeihen sie gnädICHst die bezeICHnung / schriftlICHes wICHsen. WenICH sagt / wer ICH sagt / sage ICH.

Christoph Geiser

Chassidische Variationen

Ich bin ich, wenn ich, weil ich ich bin, ich bin, und du bist du, wenn du, weil du du bist, du bist. Bin ich aber, weil du du bist, ich, und bist du, weil ich ich bin, du, bist du nicht du und ich bin nicht ich. Nicht ig. Nichtig. Nichtich bin ich, wenn ich, weil du du bist, ich bin, und du, weil du du bist, du bist. Nicht ich bist du, wenn du, weil ich ich bin, du bist, und ich ich bin, weil ich ich bin. Bist du, weil du, weil ich ich bin, du bist, nichtich, bin ich, wenn ich, weil du du bist, ich bin, nichtig. Bin ich, weil ich, weil du du bist, ich bin, nichtich, bist du, wenn du, weil ich ich bin, du bist, nichtig. Bist du, wenn du, weil du, weil ich ich bin, du bist, nichtich, bin ich, wenn ich, weil du du bist, ich bin, nicht ich. Bin ich nicht ich, weil ich, weil du du bist, ich bin, bist du, weil ich ich bin, nicht du - Bist du, mein' ich, bring mich jetzt nicht durcheinander! mein Ich!, wenn du, mein' ich, weil du, weil ich, wenn ich, weil du du bist, ich bin, nicht ich bin, nichtich bist, bin ich, wenn ich, weil ich, weil du du bist, ich bin, nichtig. Bin ich, wenn ich, weil ich, weil du du bist, ich bin, nicht ich, bist du, wenn du, weil du, weil ich ich bin, du bist, nichtich, bist du nicht ich und ich bin nichtich. Bist du, mein' Ich!, bin ich. Bin ich nicht du, mein' ich, bist du nicht ich. Oder bist du denn - Wahnsinn! - ich?

Philippe Schweizer

Les sept petits nègres

Moi... oui... ils veulent que ça commence par: moi... Au moins ils ont le sens de l'humour noir, les organisateurs:

A Rome on lâchait une poignée de pauvres types sur un rond de sable. A la fin du massacre, quand il restait des survivants, on leur envoyait une bande de lions affamés et si après tout ça il en restait un ou deux sur pieds le consul pouvait encore jouer du pouce.

Maintenant c'est le spectateur qui tranche, en français ça s'appelle «Wechselspiel Autor/Leser».

Wechselkriegsspiel...au Schlachthaus, logique. Avec leur ticket d'entrée, les gens, juste là-dessous... vous... avec votre billet on vous a confié une kalaschnikov et un chargeur plein... Maintenant que vous êtes tous là ils ont fait monter les sept condamnés qui vous récitent leur poésie découpée en rondelles par le big butcher.

Ce que je fais, maintenant, exactement.

Dès qu'on aura fini vous abattrez le plus mauvais d'entre nous, et ça recommencera jusqu'à ce qu'il n'en reste plus qu'un seul... Geiser, je pense, cette fois... ouais c'est Geiser qui va sauver sa peau... Ou alors Sterchi, peut-être... De toute façon je ne serai plus là pour féliciter le vainqueuer gracié...

J'écris mal, en ce moment... Alors si on m'oblige à me lire, en plus... J'ai toujours refusé ça, c'est deux métiers différents... Faites-moi lire par un autre, monsieur Sorg... Seulement là j'avais pas trop le choix: c'était ça ou une balle dans la nuque avant l'escalier pour l'échafaud... Eh bien voilà... c'est fini.

Je sais bien que vos premières balles seront pour... moi...

Klaus Händl

Im Sommer

Ich drehte mich um und lehnte mich an, die Tür war fest verschlossen, und ich drückte sie ins Schloss; der Gang endet hier . . . taghell aus Glas und hellem Holz. Vor mir sah ich den Rasen mit seiner verwitterten Hütte aus Schilf, die im September in Flammen aufging, worin die Schüler mit ihren Lehrern allerlei Fleisch und Gemüse rösten. Ich kam herein, die Tür fiel ins Schloss, ich brach . . . te sie nicht wieder auf, ich war allein. Ich lief und rief nach dem Hauswart, er war am Gardasee. Er hat die Sommer immer mit . . . seinen Kindern in Garda verbra . . . cht und mich als Freund seines Sohnes einmal mitgenommen, Klaus. Wir rösteten Gemüse und Fleisch. Im Turnsaal ohne Licht schwangen wir heru . . . m. Ich war allein, die Fenster waren versiegelt, die Riegel wurden entfernt. Früher sprangen noch Kinder hinaus und verletzten sich schwer. Die Rahmen wurden gelötet. Die Innenseiten der Scheiben werden geputzt. Aussen reinigt der Regen die Scheiben . . . von Staub und Blütenstaub, sie laufen am Sims zusammen, trocknen und verwehen. Ich war Trauzeuge; ich musste hinaus . . . in die Pradler Kirche, ich rannte hinauf in den zweiten Stock und stand . . . im Flur vor Herrn Margreiters Tür, aber es half nicht. Neben der Tür sah ich den Knopf für Feuer . . . alarm . . . rot gerahmt und verglast. Ich heulte; ich war allein; ich hörte auf; ich rannte zurück ins Erdgeschoss; neben dem Ausgang standen zwei Zimmertannen in ihrem . . . . schweren Trog, den ich zur Glaswand rücken wollte, die ich eindrücken musste, denn ich musste hinaus in die Kirche. Ich durfte die Wand nicht zerschlagen, sie durfte nicht krachen. Sie musste unter . . . grossem Druck knistern, splittern und leise . . . brechen; Sprünge, die . . . jeder in viele viel kleinere Sprünge zerspringen, mussten ein Loch ins Glas treiben, . . . Quarz . . . rieseln aufs Gras: Ich musste still ins Freie schlüpfen. Ich stemmte mich gegen den Trog, die Tannen wankten, Herr Margreiter kam . . . aus dem Keller, sah mich und erkannte mich . . . Klaus, er . . . kam auf mich zu, gab mir fest die Hand und erinnerte sich . . . jetzt an meinen ver . . . storbenen Vater . . . und an die Rosmarie und lang an ihren braven Buben, m . . . ich.

Die Aufführung

«Try to play ich» wird heute Freitag abend um 21 Uhr im Schlachthaus im Rahmen des Almanach-Fests von den Autoren und Autorinnen unter der Regie von Christian Probst aufgeführt. In den noch leeren Räumen der neuen Kornhausbibliothek findet ab 18 Uhr die Buchvernissage des Almanachs statt, bei der u. a. Christoph Schäublin, Rektor der Universität Bern, zu Worte kommen wird.

Eintritt für das Almanachfest: Fr. 20.-

Nach folgender Vorgabe schrieben die Autoren ihre Texte:

Das Konzept

Ich steht am Anfang, ich steht am Schluss. Sieben Individuen, sieben

Individualisten.

Texte schreiben und Texte lesen ist äusserlich ein einsamer Vorgang. Jetzt anders - Dichter werden Körper, Texte Stimmen, Leser Publikum, das Schlachthaus literarische Landschaft Bern - der Almanach feiert.

Der Almanach ist Viele. Wer blättert, wendet Autor um Autorin. Das Theater kennt Lichtwechsel, Timing und die räumliche Präsenz.

Der Text. Die Zeit. Die Zeit des Vorlesens - die Zeit des Zuhörens. Der Zeit den Text.

Mix, Cuts and Scratches. Analog zum DJ mit Texten sampeln ist das Experiment. Das Mögliche sind unsere eigenen Grenzen, gelungene Übergänge das Ziel. Autoren sind keine Schauspieler.

Vielleicht eine Art Autorenorchester mit Ein-Sätzen.

Ich glaube an das Hinterher des Konzepts. Strukturen kann man vorgeben, Rhythmen sind Moment.

Alles ist Absich .

Christian Probst

© 2001 / Der Bund Verlag AG, Bern und Autoren / www.eBund.ch


· Absich

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