Der Ackermann aus Böhmen
Denn Kunst ist ja auch immer ein Dialog mit den Toten
Heiner Müller
Ein
Streit- und Trostgespräch vom Tode
Ein Schriftsteller, ein “Ackermann des Papiers“, verliert
seine Frau im Kindbett. In zornigem Schmerz klagt er den “Herre
Tod“ als Mörder und gemeingefährlichen Verbrecher an.
Die Kampfansage wider den Tod eröffnet ein Streitgespräch
in dem sich der Tod unbeeindruckt zeigt von den Attacken des
Ackermanns, der sich nicht scheut, in seinen Flüchen gegen den
Tod die Macht des Himmels und der Hölle anzurufen. Der Tod
pariert mit kalten Vernunftsüberlegungen über den Kreislauf
von Leben und Tod. Der Tod ist nicht anfechtbar. Es gibt kein Leben
ohne Tod. Erst als der Ackermann weiss, dass seine Frau unwiderrufbar
verloren ist, und sich damit tröstet, sie in gutem Gedächtnis
zu bewahren, hält er eine Waffe gegen seinen mächtigen
Gegner in der Hand. Der Tod kann zwar Leben vernichten, nicht aber
Ideen. Er reagiert nun seinerseits mit Leidenschaft und bezeichnet in
einer hasserfüllten Tirade den Menschen als brutal und
ausbeuterisch, seinen Körper degradiert er zum “Kotfass“
und “Stankhaus“. Der Ackermann nimmt die Revolte gegen
den Tod auf und verteidigt in eindrucksvollen Bildern das Leben und
den Menschen. Gott wird zum Richter gerufen, der das Urteil fällt:
Dem Tod wird Recht gegeben, dem Ackermann die Ehre, sich gut
verteidigt zu haben. Der Text endet mit einem bewegenden Gebet des
Ackermanns für die Seele seiner Frau.
Dieser Text, 1401 geschrieben, hat wegen seiner Sprachgewalt nichts
an seiner Faszination verloren. Einerseits ist er unverkennbar im
Mittelalter beheimatet, andererseits weist er durch seine
Auflehnung gegen den Tod, und damit auch gegen Gott, auf den modernen
Menschen der Renaissance und der Aufklärung hin. In
unseren Augen ist das Interessante an dem Text die Widersprüche,
die er beim Lesen heute auslöst. Auf der einen Seite gehören
die Sympathien natürlich dem Ackermann, der für den Beginn
des modernen Menschen steht, auf der anderen Seite verstehen wir auch
die richtigen Argumente des Todes, der auf die Hybris und
vernichtende Kraft dieses Menschenbildes hinweist und darauf, dass
zwar der Tod die Würde des Menschen verletzt aber trotz aller
Anstrengungen und Errungenschaften der Moderne (noch) nicht zu
verdrängen ist.
Deswegen haben wir auch einen Friedhof als Spielort gewählt,
nicht um des Spektakulären Willen, sondern um das Gefühl
der Unausweichlichkeit zu vertiefen, in der dieser 600- jährige
Ackermann uns so nahe steht. Verstärkt durch die sonore Stimme des Basses
von Mich Gerber wollen wir den emotionalen Bogen spannen von 1401 zu
unserer Zeit.
Michael Oberer
Christian Probst
2004